Anonymer Autor
Vor 300 Jahren sah es schon einmal ziemlich schlecht aus für den Wald. Holz war wichtigste Grundlage für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Wirtschaft, Holz war Rohstoff, Werkstoff, Baustoff und Brennstoff zugleich.
Einerseits führten diese vielfältigen Ansprüche zu vielfältigen Wäldern, denn verschiedene Holzarten wurden in verschiedenen Größen und Formen benötigt.
Große Eichen dienten z.B. als Hutebäume für die Eichelmast, also als Schweinefutter, gefällt wurden sie als Bauholz für Fachwerkhäuser genutzt. Niederwald diente der Brennholzbeschaffung, der Lohgerberei oder Köhlerei, Laubhölzer wurden zur Laubheugewinnung benötigt, Nadelholz für Bauholz, Weichhölzer für Flechtwerk, Harthölzer für Möbel, Handwerkzeuge, Fahrzeugbau und andere Konstruktionen etc.
Der mittelalterliche Wald war genau so unterschiedlich, wie die Anforderungen an ihn.
(Mehr zur Geschichte der Waldnutzung beispielsweise hier, oder in:
Joachim Radkau: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt. München 2018)
Andererseits wurden die Wälder vielfach übernutzt und gerieten in einen desolaten Zustand, Ökonomen sprachen von "Holznot" und suchten nach Lösungen. Der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz brachte 1713 in seinem Werk Sylvicultura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht den Begriff "Nachhaltigkeit" auf den Weg und bezeichnete eine Möglichkeit, den Raubbau an den Wäldern zu verringern und die Ertragfähigkeit des Waldes dauerhaft zu erhalten:
„Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse [Wesen] nicht bleiben mag.“
Die Etablierung dieser nachhaltigen Nutzung erfolgte hauptsächlich auf Kosten bäuerlicher Nutzungsrechte, kam daher einer teilweisen Enteignung gleich.
Bis auf wenige Ausnahmen war Wald in Deutschland Allgemeingut (Allmende), an dem alle Gemeindemitglieder das Recht zur Nutzung hatten. Dazu gehörten u.a. das Recht, Brennholz zu schlagen, Weide- und Mastrechte für das Vieh, Rechte zur Plaggen- und Laubheunutzung. (Reste dieses Allgemeingutes findet sich beispielsweise im heutigen allgemeinen Betretungsrecht des Waldes.)
Diese vielfältigen Nutzungen wurden im 19. Jh. eingeschränkt, was wiederum Auswirkungen auf die Wälder hatte. Der artenreiche mittelalterliche Bauernwald wich weitgehend dem forstlich geprägten Hochwald - die Produktion von Stammholz gewann Vorrang vor anderen Nutzungen.
Die neue Forstwirtschaft wurde Anfang des 19. Jhs. in regionalen Forstordnungen festgelegt und die Waldnutzung durch obrigkeitliche Forstverwaltungen teilweise streng kontrolliert, was bei den betroffenen Bauern mitunter zu erheblichem Unmut führte. (Das "Wormsische Zeitungs- und Intelligenzmanual" meldete z.B. am 24. 11. 1792, dass bei einer Schießerei zwischen Bauern und Förstern im Dürkheimer Wald wegen "Waldfrevels", bei der 53 Personen beteiligt waren, sechs "Untertanen" tödlich verwundet wurden.) Vielfach wurden die neuen Forstordnungen als politische Willkür empfunden, an ihnen entzündete sich während des Vormärzes und der 1848er Revolution häufig allgemeine politische Kritik.
Die Verhinderung der Holznot und die Rettung der Wälder vor 300 Jahren konnte nur deshalb erfolgen, weil sie mit einem gesamtgesellschaftlichen Umbau der Nutzungsstrukturen verknüpft worden war. Alte Strukturen und Rechte, die zur Übernutzung geführt hatten, wurden durch neue ersetzt, was nicht immer konfliktfrei verlief.
Der Umbau der Wälder war also auch ein Umbau gesellschaftlicher Strukturen.
Wie Wald wohl in 300 Jahren aussehen wird?
Wenn man bedenkt, dass vor 300 Jahren tiefgreifende Veränderungen nötig gewesen sind, um die damalige "Holznot" abzuwenden, wird klar, dass es heute nicht damit geschehen ist, ein paar mediterrane oder exotische Baumarten in der Hoffnung zu pflanzen, dass sie Hitze und Trockenheiten besser vertragen können als einheimische Bäume.
Wald ist nicht nur Holzproduktion, aber die Waldeigentümer bekommen nur Holz bezahlt, alles andere liefern sie gratis: Erholung, Luftreinhaltung, Kaltluftproduktion, Grundwasserbildung, CO2-Senkung, Sauerstoffprodukltion, Lebensraum für Tiere und Pflanzen, regionale Identität, lokale und touristische Attraktivität.
So lange der Holzpreis auskömmlich war, also zumindest die Kosten für die Waldarbeit wieder eingebracht hat, war das zwar ein Äpfel-und-Birnen-Geschäft, aber okay. Doch inzwischen ist der Holzmarkt kollabiert. Importhölzer drängen mit Dumpingpreisen auf den heimischen Markt, Käfer- und Sturmholz ebenfalls.
Würde man z.B. die Bestäubung von Nutzpflanzen zahlen müssen, die Bienen, Fliegen und Hummeln jährlich gratis erledigen, müsste die Menschheit allein dafür jährlich 153 Milliarden € bezahlen. Und wie teuer wäre das Filtern von Wasser, die Reduzierung von Staub, das Kühlen der Luft in einem Wald?
Oder die Produktion von Sauerstoff?
Weil der Wert von Ökosystemdienstleistungen nur schwer zu schätzen und noch viel schwerer zu berechnen ist, fällt er in einer marktwirtschaftlich orientierten Welt oftmals ganz einfach unter den Tisch. In der Betriebswirtschaft spricht man von "Externalisierung von Kosten". Und weil diese Kosten in keiner Buchhaltung auftreten, finden sie auch kaum Berücksichtigung bei politischen Entscheidungen.
Allein das Thema Trinkwassergewinnung. Immer mehr Trinkwasserbrunnen rücken immer näher an Waldgebiete heran und nutzen die Filterarbeit des Waldbodens. In einigen Fällen gibt es sogenannte Wasserfonds, mit denen Umweltschutzprogramme unterstützt werden, oder es werden Waldgebiete aufgekauft, um dauerhaft Trinkwasser zu garantieren.
In den meisten Fällen aber ist Trinkwasserbildung eine Leistung, die der Wald (und die Waldbauern) gratis erbringen.
Soll Wald in Deutschland erhalten werden, wird sich vieles ändern müssen. Wir werden nicht umhin kommen, diese Diskussionen zu führen.